Tokio 2021 – Außerhalb der „Norm“

Die Olympischen Spiele in Tokio beginnen in wenigen Tagen. Doch einige Sportler*innen wurden vergangenen Monat aus verschiedenen und unverständlichen Gründen nicht zu Olympia zugelassen oder dürfen nur unter bestimmten Bedingungen antreten. Die Sportler*innen, die es betrifft, haben eine Gemeinsamkeit: sie sind alle Schwarz. Die Olympischen Spiele stehen für “Offenheit” und gegen Rassismus, aber womit rechtfertigen sie diese Aktionen?

Caster Semenya ist eine südafrikanische Mittelstreckenläuferin, die als Titelverteidigerin im 800 Meter-Lauf antreten wollte. In diesem Jahr wird sie aufgrund eines „zu hohen“ Testosteronwerts in ihrer Paradedisziplin (800 m) nicht zu Olympia zugelassen. Seit 2019 gibt es eine Testosterongrenze (vom Internationalen Leichtathletikverband IAAF verabschiedet), die die weiblichen Athlet*innen in den Disziplinen zwischen 400 Metern und 1500 Metern nicht überschreiten dürfen. Wenn der Wert „zu hoch“ liegt, müssen sie ihren Testosteronwert mittels Medikamenten senken. Die Regel hatte sich schon vor 2019 immer geändert. Mal durfte Caster Semenya teilnehmen, mal wurde ihr ein Start verboten. Aufgrund der Obergrenze musste sie für die 5.000 Meter trainieren und schaffte die Normzeit für die Qualifikation dieses Jahr in Tokio nicht.

Auch für die 400 Meter-Läuferinnen Beatrice Maslingi, Christine Mboma und CeCe Telfer – eine der ersten trans Sprinterinnen – ist ein „zu hoher“ Testosteronwert der Grund für den Ausschluss bei den Olympischen Spielen. Sha‘Carri Richardson, eine 100 Meter-Läuferin und eine der Medaillenfavoritinnen, wird nicht zugelassen, da THC/Marihuana in ihrem Blut gefunden wurde und dies als leistungssteigernde Substanz gilt.

Dass diese Entscheidungen ungerechtfertigt und diskriminierend oder nur bedingt nachvollziehbar sind, zeigt der erfolgreiche weiße Schwimmer und Weltrekordhalter Michael Phelps. Er hat eine andere physische Beschaffenheit als andere Schwimmer, die ihm viele Vorteile bringt: Phelps hat sehr lange Arme, große Füße und eine sehr breite Brust und ist perfekt für die Sportart gemacht. Er wird dafür gelobt und gefeiert (vom IAAF/Internationalen Olympischen Komitee (IOC)). Caster Semenya hat auch eine andere physische Beschaffenheit als andere Läuferinnen, die ihr Vorteile bringt, und muss diese natürlichen Vorteile reduzieren, um an Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen. Oder darf nicht teilnehmen aufgrund von Regeln, die das IOC oder der IAAF aufstellt.

Rassismus und Sexismus im Sport ist gang und gäbe, was auch daran liegt, dass die Dachverbände wie das IOC oder der IAAF größtenteils männlich und weiß sind.

Das spiegeln beispielsweise auch die Vorfälle der Schwimmkappe für Afro-Haare wider. Alice Dearing ist die erste weibliche Schwarze Schwimmerin aus Großbritannien, die im Jahr 2020 die Black Swimming Association mitbegründet hat. Sie sollte als Botschafterin und Vertreterin der Firma Soul Cap, die diese Schwimmkappen herstellt, antreten. Doch die International Swimming Federation (FINA), ließ diese Badekappen nicht zu, da sie „nicht der natürlichen Kopfform“ entsprächen.

Fünf Schwarze weibliche Läuferinnen ausgeschlossen von Olympia. Vier davon, weil ihr Testosteronwert nicht der „Norm“ entspricht. Ein Verbot für Schwimmkappen für Afro-Haare. Wie sollen Schwimmer*innen mit Afro ihre Haare schützen? Diese Kappe für Afro-Haare hat keinerlei Vorteile gegenüber erlaubten Schwimmkappen. Womit wird also das Verbot nachvollziehbar gerechtfertigt?

Doping – die natürliche Leistung durch Medikamente zu steigern – ist verboten. Doch Frauen, die einen höheren Testosterongehalt im Körper haben als die Norm, müssen Medikamente nehmen, um diesen Wert zu senken – also ihre natürliche Leistung mindern. Diese Logik ist unverständlich. Wer schreibt vor, welche Werte „normal“ sind? Gibt es einen „maximalen“ Testosteronwert für Männer im Leistungssport? Und wann wird mal darüber geredet?