Ein Gespräch mit Jessica Horn
Von Jaimiee A. Swift
Übersetzt von Neneh Sowe
Im Juni 2020 sprach Jaimee A. Swift von Black Women Radicals mit Horn über ihr Erwachen als pan-afrikanische Feministin, über die Bedeutung der Archivierung und Dokumentation der Geschichten von afrikanischen Frauen, darüber, wie wichtig kollektive feministische Sorgearbeit ist und was für sie eine radikale afrikanische Feminist*in ausmacht. Wir vom Blaxmag haben diesen Artikel nun ins Deutsche übersetzt.
Jessica Horn (sie/ihr) ist auf einer Mission – und diese Mission ist es, eine Welt zu schaffen, in der feministische Freiheiten zu einer endgültigen Realität gehören. Die panafrikanische feministische Aktivistin, Wissenschaftlerin, Dichterin und Autorin Horn kämpfte über zwei Jahrzehnte ihres Lebens für eine Welt ohne Gewalt gegen Frauen und für deren Selbstermächtigung.
Sie ist Gründungsmitglied des Afrikanischen Feministischen Forums (AFF), einem regionalen Kollektiv von afrikanischen feministischen Aktivist*innen, die über Strategien diskutieren, Ansprüche verfeinern und stärkere Netzwerke entwickeln. So wollen sie Rechte von Frauen [sic], insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, stärker vorantreiben. Außerdem war Horn die Koordinatorin von AMANITARE – dem ersten panafrikanischen regionalen feministischen Netzwerk, was sich auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte fokussierte. Daneben war sie Mitbegründerin von UHAI EASHRI, „Afrikas erstem Aktivist*innenfonds, der Minderheiten und Rechte für Sexarbeiter*innen unterstützt.“
Horn half bei der Gründung von FRIDA, dem „einzigen von Jugendlichen geführten Fonds, der sich auf die Unterstützung junger feministischer Organisationen konzentriert“, und war auch maßgeblich an der Gründung von AIR beteiligt, dem African Institute for Integrated Responses to Violence Against Women and Girls and HIV/AIDS.
Außerdem kuratiert Horn gemeinsam mit Laurence Sessou ein beeindruckendes Kunstprojekt: the temple of her skin stellt afrikanische Frauen, ihre Tattoos und Narben, sowie deren Bedeutung dar.
Jaimee Swift [Black Women Radicals] (JS): Ich interessiere mich sehr dafür, wie Menschen zu ihrem feministischen Bewusstsein und schließlich zur Praxis kommen. Welcher Moment war dies bei dir? Oder gab es mehrere?
Jessica Horn (JH): Als ich geboren wurde, haben meine Eltern in Lesotho gelebt, was zu der Zeit eine der Hochburgen der Anti-Apartheidbewegung war. Der Kontext, in dem ich aufwuchs, war also sehr marxistisch-sozialistisch geprägt und verfolgte stark die damalige Anti-Apartheid-Politik. Dies war unweigerlich mit einer weitreichenden afrikanischen Befreiungspolitik verbunden. Mein Umfeld war von Debatten und Diskussionen geprägt. Später zogen wir dann an den Südpazifik, wo die Politik ähnlich dekolonial und am globalen Süden orientiert war. Durch diesen politischen Rahmen, in dem ich aufwuchs, hat sich mein Feminismus entwickelt.
Das Interesse an feministischen Themen hat, glaube ich, viel mit meiner Mutter zu tun. In meiner Kindheit entwickelte sie durch die marxistische Politik ebenfalls ein feministisches Bewusstsein. Auf Grund meiner Erziehung und meiner Umgebung fühlt es sich an als wäre ich schon immer eine Feministin gewesen. Es war also nicht ein spezifischer Moment, sondern eher die Art und Weise wie ich erzogen wurde – von da an ist mein Bewusstsein dafür dann gewachsen.
Ich denke auch, dass es für Menschen, die Kinder haben, oder die viel von Kindern umgeben sind, wichtig ist, unsere radikale Politik mit unseren Kindern auszuweiten. Denn das ist es, was uns ausmacht. Wenn wir wollen, dass das Erbe dieser radikalen Politik weitergetragen wird, ist es überlebenswichtig, mit der nächsten Generation an einem Konzept weiterzuarbeiten. Wenn wir diese Bewegung aufbauen wollen, müssen wir mit ihren Kindern anfangen.
„Wenn wir diese Bewegung aufbauen wollen,
müssen wir mit ihren Kindern anfangen.“
JS: Häufig werden Beiträge für die radikale Afrikanische Bewegung, die von afrikanischen Frauen kommen, auf dem Kontinent und auch in der Diaspora unsichtbar gemacht oder übersehen. Woran liegt es deiner Meinung nach?
JH: Das ist interessant, weil afrikanische Frauen eigentlich das Herz von radikalen Bewegungen sind. Insbesondere afrikanische Feminist*innen waren die wichtigsten Allys in allen Kämpfen der letzten Jahrzehnte. Sie sind die zentralen Figuren in Befreiungsbewegungen, aber es geht darum wer die Geschichten schreibt und wer an diesen Geschichten interessiert ist. Einige afrikanische Frauen wurden ausradiert, weil sie in der Öffentlichkeit laut waren und ihre Meinungen kund taten.
Neoliberalismus und wirtschaftlicher Status sind zwei miteinander verwobene Gründe für die Unsichtbarmachung. Denn in diesen Strukturen sind Frauen die am stärksten Unterdrückten. Ich habe viel Zeit in feministischen Räumen auf dem afrikanischen Kontinent verbracht und versucht, diese Geschichten aufzudecken und ihre Namen herauszufinden.
Denn für jeden Amílcar Cabral und für jeden Thomas Sankara gibt es auch eine Freedom Nyamubaya. Frauen haben schon immer Ideologie geformt und waren mutig genug, sie in die Praxis umzusetzen. Das patriarchale Gedächtnis ist der Grund für die Leerstelle in der Dokumentation von Beiträgen und Errungenschaften von afrikanischen Frauen und die Ursache, warum ihre Arbeit und ihr Einsatz in der Diaspora kaum bekannt sind. Wenn wir über afrikanische Feminismen sprechen, dann schauen wir immer sehr weit zurück. Und Menschen verbinden mit den Kämpfen Figuren wie Mbuya Nehanda, welche in der Tat sehr wichtig für die damaligen Freiheitskämpfe waren. Doch nahezu keine Person erwähnt die Feminist*innen, die zur Zeit oder in der jüngsten Gegenwart dagegen kämpfen. Und das liegt auch an der mangelnden Dokumentation.
JS: Auch auf globaler Ebene wird die Dokumentation Schwarzer Feminist*innen und ihrer Führungsrolle oft nicht auf breiter Basis dargestellt. Während die Beiträge Schwarzer Feminist*innen zum Aufbau radikaler Bewegungen in den USA übersehen werden, betrachten viele Menschen den Schwarzen Feminismus in den USA als primäre Quelle. Dabei vernachlässigen sie jedoch die Erfahrungen und Beiträge afrikanischer und afrodiasporischer Feminist*innen.
JH: Ja, da stimme ich dir zu. Wir haben nicht genügend Ressourcen, um zusammenzukommen und uns auszutauschen. Ein Weg von Menschen zu erfahren ist es, sie zu treffen. Die Tagung der Association for Women’s Rights in Development (AWID) im Jahre 2016 in Brasilien war die erste Schwarze feministische Tagung. Allerdings gibt es Räume wie diese, in denen Schwarze Feminist*innen vom afrikanischen Kontinent und der Diaspora zusammenkommen können, immer noch sehr selten.
Ein weiterer Grund für die mangelnde Dokumentation und den geringen Austausch ist die Sprache. Viele Teile des Diskurses finden auf Englisch statt. Doch ich denke, wir müssen mehr auf die Sprache achten, mehr Wert auf Übersetzungen legen und uns über die Sprachbarrieren hinweg verbinden und einbringen. Natürlich kann ich es verstehen, dass einige Probleme direkt vor Ort so groß sind, dass es davon abhalten kann Verbindungen außerhalb der Region zu knüpfen. Doch ich denke auch, dass es interessant sein kann zu sehen, wie verschiedene Menschen verschiedene Probleme bewältigt haben. Wir kommen von so vielen Orten und sind aus den unterschiedlichsten Regionen eingewandert. Es ist wichtig, dass wir über die Ozeane der Schwarzen Existenz hinweg voneinander lernen. Denn wir sind miteinander verbunden.
JS: Würdest du noch etwas mehr über deine feministische Care-Arbeit, insbesondere aus einem (pan)afrikanischen feministischen Kontext erzählen?
JH: Eine der wichtigsten Vorläufer*innen der feministischen Sorgearbeit waren die Bewegungen von afrikanischen Frauen, die mit HIV lebten. Dies waren hauptsächlich Schwestern der Arbeiter*innenklasse, die eigentlich nicht viele Ressourcen hatten, die aber wegen des Stigmas von HIV/AIDS sehr hart dafür kämpften, Wege zum Überleben zu finden. Bevor die antiretroviralen Therapien (medikamentöse Behandlung bei Menschen mit einer HIV-Infektion) und Strategien ins Leben gerufen wurden, war die Sterberate sehr hoch. Die Menschen kamen zusammen und entwarfen Wege kollektiver Pflege und Self-Care, die wirklich zugänglich waren.
Beispielsweise stellten sie sicher, dass die Erkrankten genügend zu Essen hatten. Manche dieser Dinge, die wir heute als Teil der feministischen Sorgearbeit sehen, haben afrikanische Frauen bereits vorher gemacht. Sie waren erschwinglich, während die (Self)care-Diskurse inzwischen sehr elitär sind und Zugänge zu bestimmten Leistungen fordern, die die meisten Menschen sich nicht leisten können. Es ist so wichtig sich solche Modelle von kollektiver Sorgearbeit anzuschauen, die wirklich für die Community sind und auf Ressourcen abzielen, die tatsächlich für uns verfügbar sind.
Diejenigen, die diese Arbeit leisteten, waren extremer Gewalt und äußerst schwierigen Bedingungen ausgesetzt. Sie versuchten Modelle zu entwickeln, aus denen auch meine feministische Sorgearbeit wuchs. Viele Begriffe zu emotionaler und mentaler Gesundheit kommen aus der westlichen Psychologie. Und diese sind auf Erfahrungen weißer cis Männer zurückzuführen. Insbesondere im Bereich der Traumata ist das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung aus den Erfahrungen männlicher Soldaten im Vietnamkrieg hervorgegangen. Diese Erfahrung stimmt oft nicht mit den Lebenserfahrungen der meisten afrikanischen Frauen überein. Es braucht ein Überdenken und ein Neudenken des Begriffs Trauma, welche Dinge Traumata auslösen können und wie die therapeutische(n) Reaktion(en) darauf sein sollten.
Die Initiative AIR, an deren Gründung ich beteiligt war, war ein Netzwerk afrikanischer Praktizierender aus verschiedensten Berufssparten. Viele von ihnen arbeiteten aber in Bereichen, die entweder von Konflikten oder extremer wirtschaftlicher Not geprägt waren. Wir realisierten, dass das, was uns traumatisierte, keine individuelle Erfahrung ist: in einem Umfeld zu leben, das dir die grundlegende Würde verweigert, ist die Ursache dafür.
Die Wunde ist also nicht individuell, sondern der Kontext struktureller Gewalt. Wenn wir heilen möchten, müssen wir aktivistisch tätig werden. Denn wir müssen Werkzeuge für die emotionale Widerstandsfähigkeit bilden. Auf der anderen Seite müssen wir auch aktiv werden, um die strukturellen Ursachen zu bekämpfen, die den Stress erst verursachen.
„Schmerz ist kollektiv und das Heilen sollte es auch sein.“
Außerdem fanden wir die Art auf emotionales Wohlbefinden zu schauen sehr einseitig. Die Bereiche in denen Menschen arbeiteten, hatten meist keine geschulten Betriebsrat oder medizinisches Personal. Trotzdem haben sie es hinbekommen unter schmerzhaftesten Erfahrungen und Umfeldern zu arbeiten. Menschen nutzen das, was sie haben: Musik, gemeinsame Lieder, Tanz oder Rituale. Werkzeuge, die auf einem tieferen Verständnis des Selbst und der Realität basieren. Wir sind nicht nur Individuen, sondern Teil einer Gemeinschaft. Denn der Schmerz einer einzigen Person ist der Schmerz von vielen Menschen.
Der Mord an George Floyd ist ein Beispiel dafür. Ein Mann wurde getötet, doch es tut allen weh. Schmerz ist kollektiv und das Heilen sollte es auch sein. Viele Methoden befassen sich mit dem Begriff des kollektiven Heilungsprozesses und dem gegenseitigen Beitrag zur Heilung, aber dies muss in therapeutischer Absicht geschehen. Wir müssen versuchen, unsere Auffassungen von mentaler Gesundheit und emotionalem Wohlbefinden zu verstehen, zu überdenken und zu dekolonisieren. Wegkommen von der hyper-medizinischen und hyper-individualisierten Belastung, hin zu etwas Politischem, das die strukturellen und umfeldbedingten Verhältnisse versteht und versucht, dagegen vorzugehen. Und gleichzeitig müssen wir das individuelle und kollektive Wachstum unterstützen. Wichtig ist für uns auch die Vorstellungserweiterung des Begriffs der Therapie.
Ein weiterer Aspekt, den wir bei AIR untersucht haben, ist die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit. Der Prozess der Vertreibung und des Krieges bedeutet für viele Menschen, dass sie nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen oder ihre eigene Familie zu ernähren. Wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu stärken ist eine Art, die Widerstandsfähigkeit der Menschen wiederherzustellen. Das heißt nicht, dass jede Person Unternehmer*in werden soll. Dennoch wollen Menschen auch selbst handeln und das ist eigentlich eine wichtige therapeutische Methode – den Menschen strukturelle Möglichkeiten geben, die Handlungsfähigkeit über ihr eigenes Leben zu erlangen.
JS: Welche afrikanischen Frauen inspirieren dich?
JH: Ich bin extrem von Macher*innen inspiriert. Von Menschen, die ihre Worte in die Tat umsetzen und von kollektiven Aktionen. Meine Erkenntnis über die Jahre hinweg ist, dass es eine Sache ist, Dinge zu sagen und eine ganz andere, sie dann auch zu machen! [lacht] In den letzten Jahren gab es so viele gegenwärtige Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent. Beispielsweise die One in Nine Campaign in Südafrika. Eine Bewegung, die als Antwort auf Fezekile Ntsukela Kuzwayo, aka Khwezi, entstand, die den Südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma der Vergewaltigung beschuldigte. Khwezi und weitere waren sehr mutig – sie stellten sich gegen das gesamte Establishment. Diejenigen, die an der Kampagne teilnahmen, waren bis zu Khwezis unglücklichen Tod an ihrer Seite.
Dann gibt es da eine Gruppe junger Feminist*innen in Uganda, die eine Plattform mit dem Namen Wulira gründeten. Diese Plattform dokumentiert afrikanische feministische Geschichte. Sie gehen raus, recherchieren in Archiven und machen ganz viele andere faszinierende Dinge. Ich bin so begeistert davon, weil es ganz neue Möglichkeiten eröffnet, was es bedeutet eine ugandische Frau zu sein.
Denn es gibt Kraft zu wissen, wo man hingehört. Eines der mächtigsten Dinge, die man in einer Welt voller Ungerechtigkeiten haben kann, ist es das Bewusstsein zu haben, von wo man abstammt.
Wenn es um einzelne Personen geht, die mich inspirieren, sind es Feminist*innen wie Hope Chigudu. Die ugandische Aktivistin lebt in Zimbabwe und beschäftigt sich mit dem Neudenkens des Selbst und damit, wie wir uns organisieren können. Außerdem bin ich begeistert von der Aktivistin und Anwältin Sylvia Tamale und Freedom Nyamubaya. Letztere war eine Freiheitskämpferin aus Zimbabwe und ich traf sie bei einem feministischen Forum in Zimbabwe. Sie bleibt trotz ihres Todes eine Erinnerung an die Rolle, die Frauen im Befreiungskampf spielten und für das Engagement danach. Sie nahmen nicht nur die Macht ein, wie es viele Männer tun. Sie unterstützen danach weiterhin das Ziel, für das die Bewegung gekämpft hat. Nyamubaya war Dichterin und in einer Zeile schreibt sie: „Befreiung ist ein Mann, aber Freiheit ist eine Frau.“ Sie hat erkannt, dass Befreiung nicht die Befreiung von Frauen miteinschließt.
JS: Wie könnten Schwarze US-amerikanische Feminist*innen mehr Solidarität mit Feminist*innen vom afrikanischen Kontinent aufbauen?
JH: Zuerst müssen wir uns kennenlernen. Es ist wirklich schwierig in Solidarität mit Leuten zu arbeiten, die du nicht kennst. Mit dem Kennenlernen meine ich, die Arbeiten der jeweils anderen zu lesen, gegenseitig unsere Musik zu hören und uns zu engagieren. So etwas funktioniert auch online. Trotzdem kann es schwierig sein, denn jede Person hat unterschiedliche Vibes, verschiedene Energien und andere Ziele und Maßnahmen. Aber je mehr Möglichkeiten wir haben, um uns kennenzulernen, desto besser. Außerdem müssen wir uns mehr über unsere Probleme, unser Denken und unseren Aktivismus austauschen. Solidarität heißt, füreinander da zu sein, wenn es nötig ist. Und dafür müssen wir wissen, was bei den jeweils anderen Personen gerade abläuft. Praktische Solidarität meint, eine Antwort zu geben, wenn etwas an einem anderen Ort passiert. Die vielen Netzwerke, die ich habe, baute ich dadurch auf, dass ich viel reiste und Frauen aus anderen Orten traf. […]
Plattformen wie Black Women Radicals ist eine Möglichkeit uns zu verbinden. Denn wir sind alle neugierig, mehr voneinander zu erfahren. Es geht nur darum, wo wir uns finden. Zeit miteinander zu verbringen und zu kommunizieren ist der Schlüssel. Ob virtuell oder physisch. In jedem Kampf muss man Zeit miteinander verbringen, denn nur so können wir verstehen, wer wir sind. Wir kämpfen nicht nur symbolisch für Menschen. Wir machen das, weil wir uns gegenseitig am Leben halten wollen.
JS: Was bedeutet es für dich, eine radikale afrikanische Frau zu sein?
JH: Es ist eine Art Verpflichtung, immer weiter zu lernen und stetig zu kritisieren, damit wir an die Wurzeln kommen, die diese Ungerechtigkeiten, denen wir ausgesetzt sind, hervorrufen. Einen radikalen Anspruch zu haben heißt die strukturelle Basis der Machtungleichtheit zu adressieren. Es bedeutet also, die Machtdynamik wirklich zu verstehen, die dafür verantwortlich ist, warum eine Handlung oder eine Erfahrung stattfindet oder wenn bestimmte Gruppen von Menschen stärker diskriminiert werden als andere.
Man muss gewillt sein, dauerhaft zu lernen, geduldig zu sein und zu den Ursprüngen zu gehen. Wenn es drauf ankommt, muss man auch aufstehen und sich durchsetzen. Es ist beängstigend, Machtsysteme herauszufordern – beängstigend und gefährlich. Denn Machtsysteme wollen an der Macht bleiben und tun alles dafür, dass es so bleibt. Immer wird es Gegenreaktionen geben. Radikal zu sein bedeutet auch aufzustehen, wenn es darauf ankommt und mit den Menschen zu stehen, und ihnen zu sagen: „I am with you.“ Es heißt Kritik zu üben und die eigene Diskriminierung zu hinterfragen, sich unserer enormen Vielfalt bewusst zu sein und immer immer wieder zu lernen.