#BlackLivesMatter! Und jetzt? – Der solidarische Tweet fürs gute Gewissen

Im Sommer 2020 war #BlackLivesMatter überall. Auf Schildern bei Demos, in allen Mündern und im Netz. Daraus ging eine Vermainstreamung dieser Bewegung hervor. Wer meint tatsächlich, dass Schwarze Leben zählen und wer benutzt den Hashtag nur als Floskel, um „dazuzugehören“?


Vor etwas über einem Jahr, auf der 50. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos sorgte ein Foto für Aufruhr. Berichtet wurde von den fünf Klimaaktivistinnen der Fridays For Future-Bewegung weltweit. Doch abgebildet waren nur vier. Die einzige, die aus dem Bild herausgeschnitten wurde, war die Schwarze Klimaaktivistin Vanessa Nakate aus Uganda.

Die Aktion stieß weltweit auf „Unverständnis“, doch das was dahinter steckt, blieb weitestgehend unkommentiert. Das Herausschneiden der einzigen nicht-weißen Person auf dem Bild ist nicht nur ein Zeichen für die mangelnde Beachtung, sondern ist strukturell verankert in der Ausradierung von Schwarzen Körpern. Alles was gehört wird ist „How dare you“.

Von Nakates Kolleginnen kam nichts Zählbares hinzu. Abgesehen von leeren Sätzen wie „Das ist vollkommen inakzeptabel.“ über „Das ist unverschämt.“ und „Danke für deine Arbeit!“. Für Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Isabelle Axelsson und Loukina Tille ist dieses Geschehen nicht wirklich relevant. Sie waren auf dem Foto abgebildet und werden gehört – auch wenn sie nichts sagen. Ihre Äußerungen waren nichts weiter als leere Tweets fürs gute Gewissen. Gepostet, weil es irgendwie erwartet wurde. Doch das reicht nicht. Und ein Danke ist zwar schön zu hören, aber das zielt am eigentlichen Thema vorbei. Hier geht es um viel mehr als das.

Es geht darum, dass diese Aktion symbolisch für die Wahrnehmung und (Nicht-)Wertschätzung von Schwarzen Menschen, insbesondere Schwarzen Frauen in der weiß dominierten Gesellschaft ist. Es geht um Rassismus. Immer ist die Rede von „Rassismusvorwürfen“, doch die Tatsache direkt anzusprechen, das Wort auszusprechen, ist dann doch zu krass. Und es geht um das Silencing. Es geht um Schwarze Frauen, die in der Gesellschaft irgendwo am Rande stehen und durch Aktionen wie diese auch dort gehalten werden. Und wenn man dann für sich selbst oder für andere Schwarze Menschen einsteht und den Mund aufmacht, wird sofort das Stereotyp der Angry Black Woman aus den Untiefen der Vorurteils-Unterwelt herausgekramt. Systematische Unterdrückung, wie wir sie schon lange kennen.
Doch Vanessa Nakate nimmt dies als Kraftquelle, um ihre Arbeit nach vorne zu treiben und noch stärker zu kämpfen. Das sagte sie in einem kleinen Twitter-Gruß. Auch für das gute Gewissen ihrer „Mitkämpferinnen“.

„Diese Phase des Aktivismus war eben nur eine Phase, die sich so schnell aufgelöst hat
wie der Zucker im Ataya-Tee.”

Soweit zum Kontext. Ähnlich ging es nämlich dann im Sommer 2020 weiter. Black Lives Matter-Demonstrationen weltweit und auch in zahlreichen Städten Deutschlands. Mit teilweise über 20.000 Menschen auf den Straßen. Die Bilder zu sehen war unglaublich und kurz waren vielleicht auch wir Skeptiker*innen aus den Schwarzen Communities überrascht. Was dann folgte, bestätigte uns allerdings wieder in unserem Denken: diese Phase des Aktivismus war eben nur eine Phase, die sich so schnell aufgelöst hat wie der Zucker im Ataya-Tee.

Gegen Rassismus auf die Straße zu gehen; so ein bisschen rebellisch sein. Yes, das ist ein gutes Gefühl. Für viele Menschen, die den Aktivismus sonst über Social Media beobachten und nur für ganz brisante Fälle in die Aktivismus-Blase eintauchen, waren die Demos eine tolle Gelegenheit ihre „Solidarität“ zu zeigen. Einmal kurz laut werden und dann genug für die nächsten zehn Jahre? Für wen haben sie das gemacht? Finden sie wirklich, dass Schwarze Leben zählen, wenn danach nichts mehr von ihnen zu hören ist? Ja, Aktivismus ist anstrengend und energieraubend, doch dann müssten sie doch erst recht sehen, wie viel BIPoC-Aktivist*innen stetig leisten und aushalten müssen. Finden sie wirklich, dass Schwarze Leben zählen, wenn sie nicht selbst daran interessiert sind etwas zu verändern?

Und genau hier sind wir bei dem eigentlichen Problem: die Vermainstreamung von aktivistischen Themen. Die Rolle, die Social Media dabei spielte ist nicht zu unterschätzen. Nach den Morden an Ahmaud Arbery, Breonna Taylor, Tony McDade und George Floyd durch rassistische Polizeigewalt, kursierten die Bilder und Videos von ihren Toden im Netz.

Der Aufschrei und die Reaktionen, dass Rassismus und Polizeigewalt tatsächlich existieren, waren groß. Daraufhin schrieb der Schauspieler Will Smith: „Racism is not getting worse. It’s getting filmed.“ Auf den Punkt. Schwarze Menschen, indigene und Menschen of Color weisen schon seit Jahrhunderten auf Rassismus hin. Geglaubt hat dem die breite Masse der weißen Gesellschaft erst nachdem insbesondere durch das Video vom Tode George Floyds ein sichtbarer Beweis vorlag.

Zum ersten Mal saßen dann auch vermehrt Schwarze Personen in deutschsprachigen Talkshows. Doch auch das war nur eine Phase. Beim Thema Rassismus und Polizeigewalt, das von den Medien wie so oft in die USA verortet wurde, wurden BiPoC stets nach ihren eigenen Erfahrungen gefragt. Mussten schmerzhafte Erlebnisse, die sie vielleicht bewusst verdrängt haben, wieder durchleben. Sie wurden als Betroffene befragt, die dadurch automatisch als Expert*innen galten. Als der Hype vorbei war, waren dann die fünf weißen Clowns, die darüber diskutierten was man denn heute noch sagen darf, die „Expert*innen“.
Bei den Diskussionen, auch wenn die Headline der Talkshow war „Hat Deutschland ein Rassismusproblem?“ wurde immer wieder auf die USA verwiesen. Wieso spricht niemand über N’deye Mareame Sarr, Oury Jalloh, Laye-Alama Condé, Dominique Kouamadio, Christy Schwundeck? Wieso nicht über die Opfer von Hanau?

 

#blackouttuesday all over

Im Juni 2020 kam dann die Social Media-Bewegung der schwarzen Kachel ins Spiel: Große Musiklables aus den USA starteten die Aktion in Gedenken und aus Solidarität mit den Opfern von Polizeigewalt und Rassismus, insbesondere Anti-Schwarzem Rassismus. Und was in der Musikindustrie begann, führte über Nacht zu einem Meer von schwarzen Kacheln auf Instagram und anderen Plattformen. Es flutete auch in Deutschland. #blackouttuesday all over. Dann wurde es bedeutungslos. Vermainstreamt. Das war der solidarische Tweet fürs gute Gewissen. Denn seitdem sind die meisten Feeds wieder zurück zum „gewöhnlichen“ gegangen. Gruppenzwang, weil es irgendwie alle gemacht haben. Kontextlos gepostet und dann das nächste Urlaubsfoto rausgehauen.

Ziel der Black Lives Matter-Bewegung war es sicherlich nicht einen virtuellen Ozean voller schwarzer Kacheln zu haben. Ziel war es nicht nur in den Sozialen Medien auf die andauernde Polizeigewalt und auf strukturellen Rassismus aufmerksam zu machen, sondern ihn zu bekämpfen und zu einem Umdenken, zu einer Umstrukturierung anzuregen. Die Slogans „Abolish the police“ oder „Defund the police“ wurden laut. Diese tiefliegenden Forderungen konnte die schwarze Kachel natürlich nicht decken. Und jetzt? Diejenigen, die wirklich etwas ändern wollen, kämpfen weiterhin aus ihrer Ecke. Und die, die gerade keinen Bock auf Aktivismus haben, ziehen sich die nächste Netflix-Doku zu Sumpfmäusen rein.

Trauriges Ende, aber es ist nichts weiter passiert. Für viele Menschen, die Rassismus nicht Tag für Tag erleben müssen, ist George Floyd, ist Breonna Taylor, ist Hanau Geschichte. Letzten Sonntag wurde Daunte Wright, ein 20-jähriger Schwarzer Mann, in Minneapolis von der Polizei erschossen. Nur wenige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem George Floyd ermordet wurde. Dort gehen die Menschen auf die Straße und fordern weiterhin die Abschaffung der Polizei. Was folgt? Ein Schritt in die richtige Richtung oder nur ein weiterer Post fürs gute Gewissen?