Asmara – „modernistische Stadt Afrikas“

Asmara – die heutige Hauptstadt Eritreas – hat wie viele afrikanische Städte eine Kolonialvergangenheit. Die Vernichtungen von Strukturen, die Eritreer*innen jahrhunderte- oder jahrzehntelang aufgebaut haben ging einher mit der Vertreibung der einheimischen Bevölkerung durch die Kolonialmächte. Seit 2017 gilt Asmara als „modernistische Stadt Afrikas“ und erhielt von der UNESCO den Titel Weltkulturerbe. Doch der Teil der Stadt, der mit dem Titel ausgezeichnet wurde, bezieht sich größtenteils  auf die Infrastrukturen und Gebäude, die während der italienischen Kolonialzeit von der faschistischen Regierung Italiens geplant und erbaut wurden. Ist es also ein Aufleben und Feiern dieser faschistischen Architektur oder doch nur die Ehrung der modernistischen Stadtplanung? Und kann man diese Fragen überhaupt voneinander trennen?

Eritrea wurde nach dem Überfall Italiens auf Äthiopien 1936 in das neu gegründete Italienisch-Ostafrika eingegliedert. So wurde auch ein großer Teil Tigrays ein Teil von Eritrea. Im italienischen Angriffskrieg von 1935 – 1941 starben etwa 350.000 bis 750.000 Abessinier*innen (Abessinien war bis 1947 ein Kaiserreich in den heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea).

Italien hatte damals große Teile Ostafrikas erobert, darunter Eritrea, Äthiopien, Libyen, Teile der Somalischen Küste und der Ägäis. Mit der Eroberung ging eine Unterdrückung der einheimischen Bevölkerungen und deren Kulturen einher. Italien, und insbesondere Mussolini, wollten durch die Größe des Kolonialreiches das Antike Römische Imperium – die „guten alten Zeiten“ im Auge der Faschisten – wiederherstellen. Um das Reich zu kontrollieren und zugänglich zu machen, wurden vorherige Infrastrukturen in der besetzten Region von der italienischen Besatzungsmacht zerstört und neue Straßen und Brücken geschaffen, die die Modernisierung und das “fortschrittliche Denken Italiens” ausdrücken sollten, aber auch die Landschaft Eritreas stark veränderten. 

Bei dem Ausbau der Infrastruktur wurde sich an den Strukturen des Römischen Reiches orientiert. Denn die Architektur und Struktur der eroberten Städte im Kolonialreich sollten einheitlich sein, um die Verwaltung zu vereinfachen. Der faschistische Diktator Benito Mussolini wollte durch das für Italien neu geschaffene Gebiet und die Ausradierung jeglicher vorher anwesender Strukturen einen „neuen Menschen“ erziehen, der von dem faschistischen System und der Eroberungspolitik überzeugt ist. Die italienische Jugend sollte militärisch ausgebildet werden, klug und körperlich leistungsfähig sein, und – der wichtigste Aspekt im faschistischen System – die Fähigkeit entwickeln, über andere Völker zu herrschen. Sechs Millionen Italiener*innen wurden im Kolonialreich angesiedelt und machten bald die Hälfte der dort lebenden Bevölkerung aus. 

 

Stadtgeschichte Asmaras

Die Geschichte Asmaras begann weit vor der italienischen Besatzung. Der äthiopische General Ras Alula gründete 1884 auf einem Hügel von Asmara eine Residenz und schuf so die Grundlage für eine moderne Entwicklung der Stadt. 1889 wurde Asmara durch Italien besetzt und 1900 von der italienischen Regierung als neue Hauptstadt ausgewählt, die sie bis heute ist. Bei der Umgestaltung der Stadt diente Rom als Vorbild. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden unter dem Ingenieur Odoardo Cavagnari – der auch in Italien schon am architektonischen Aufbau beteiligt war – mehrere Gebäude, die die verschiedene Stilepochen im Stadtbild widerspiegeln sollten. Ein Stil, der in Italien üblich war und die italienische Nation repräsentieren sollte.

Regierungsplan Asmara, 1939 (Bader 2016: 148)

Während der italienischen Kolonialherrschaft unter Mussolini wuchs Asmara sehr schnell an und wurde 1932 zum Zentrum des italienischen Aufmarschgebiets für den italiensch-äthiopischen Krieg (1935 – 1936). Mit der Eroberung weiterer Gebiete rief Mussolini im Mai 1936 eine neue Ära aus. Asmara wurde in den 1930er Jahren im Stil der klassischen Moderne umgebaut. Die Stadt mit ihrer Struktur und der Architektur sollte die Herrschaftsverhältnisse und das Bild, das die italienische Regierung von sich selbst hatte, darstellen.

Mit dem Beginn der faschistischen Herrschaft veränderten sich auch die Bauwerke: sie wurden eher rational und homogener, wurden aber mit faschistischen Symbolen verziert. Das historische Stadtensemble – dessen Teile heute als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet sind – wurde zwischen 1893 und 1941 erbaut. 

Die Stadtplaner und Architekten aus dem kolonialen Beirat planten Asmara als erste Stadt, in der es Rassentrennung durch Zoneneinteilung gab (siehe Regierungsplan). Der Stadtplaner Vittorio Cafiero war für den Generalbebauungsplan zuständig. Für die neue Stadtplanung wurden einige alte Strukturen gezwungenermaßen miteinbezogen, aber auch viele Häuser der Eritreer*innen abgerissen. 

Asmara wurde daraufhin in vier Zonen aufgeteilt: das Verwaltungsviertel und die industrielle Zone im Stadtzentrum, nördlich davon eine gewerbliche Mischzone, in der überwiegend Araber*innen, Juden und Jüdinnen* und Inder*innen lebten. Die Zone diente im Plan als Pufferzone zwischen der italienischen und eritreischen Bevölkerung, die sich nicht begegnen sollte. Die „indigene Zone“, in der die Einheimischen wohnten, lag im Norden; im Süden das Villenviertel der Europäer*innen. Es gab getrennte Veranstaltungshäuser, Zugang zum Stadtzentrum hatten nur Europäer*innen und Bedienstete Indigene.
In der Zone der Indigenen waren die Lebensbedingungen sehr schlecht. Es gab kein fließendes Wasser, keinen Strom und keine befestigten Straßen, weil das Viertel der einheimischen Bevölkerung in der Planung hinsichtlich dieser Kriterien nicht berücksichtigt wurde.
Cafiero wollte die italienische Bevölkerung durch den Bau neuer Gebäude von den Eritreer*innen abheben, um den ideologischen Gedanken der „Überlegenheit der weißen Herrenrasse“ umzusetzen.
Dennoch scheiterte der Kernplan der Stadtplanung, nämlich die Umsiedlung von mehreren 1000 Eritreer*innen in Orte außerhalb der Stadt aufgrund von Kosten, Zeit und Organisation. Die einheimischen Bevölkerung blieb in der Nähe des Marktplatzes, jedoch unter den eben geschilderten Bedingungen. 

Cinema Impero in Asmara, 1937 (UNESCO o.J.: www)

Einhergehend mit der geplanten und teilweise umgesetzten Zonierung der Stadt, kamen ab 1937 Rassengesetze dazu, die beispielsweise die Ehe zwischen Eriteer*innen und Italiener*innen verboten. Die Stadtplanung und Architektur der Stadt  Asmara wurden als Werkzeug der offenen Visualisierung von politischen Ideologien verwendet.

 

Exkurs: Was macht UNESCO und wie wird ein Ort Welterbe?

1945 wurde die UNESCO für die Förderung von Wissenschaft, Kultur und Bildung gegründet. Die Liste des Welterbe – 1978 erfasst – umfasst etwa 1.154 Stätten in 167 Ländern. Ziel dieses Vereins ist der Schutz von Natur- und Kulturstätten weltweit. Innerhalb der UNESCO gibt es ein Welterbekomitee für diesen Schutz, in dem 21 Mitglieder durch die  194 Vertragsstaaten auf bestimmte Zeit gewählt werden. Allerdings lässt sich eine Sache deutlich feststellen: die Verteilung der Welterbestätten ist sehr eurozentrisch und westlich dominiert. Allein 52,2 Prozent der Kulturerbestätten befinden sich in Europa und Nordamerika, auf dem afrikanischen Kontinent sind es lediglich sechs Prozent. 

Verteilung UNESCO Kulturerbestätten nach Region (Statista 2021: www)

Jeder der Vertragsstaaten hat die Möglichkeit pro Jahr zwei Vorschläge zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste zu machen. Die Auswahl wird dann basierend auf erfüllten Kriterien getroffen. Eine Grundbedingung sind die historische Echtheit und die Unversehrtheit der Orte. Zusätzlich muss mindestens eines der zehn Kriterien erfüllt sein, um den Titel zu erhalten. 

1998 wurde die Organisation Cultural Assets Rehabilitation Project (CARP) in Eritrea mit dem Ziel gegründet, Asmara auf die Liste des Weltkulturerbes zu setzen. 2001 wurde dann ein Großteil des Zentrums unter Denkmalschutz gestellt und durch die Finanzierung der EU und der Weltbank konnten einige Gebäude saniert und restauriert sowie Arbeitsplätze geschaffen werden. 

Seit 2017 ist Asmara nun UNESCO-Weltkulturerbe und damit der erste Ort in Eritrea, der diesen Titel erhalten hat. Der Kontext zur Entstehung dieses Titels wird von UNESCO nur am Rande angedeutet. Auf der UNESCO-Website wird erwähnt, dass die italienische Kolonialmacht die Stadt geplant und gebaut hat, jedoch wird sich nicht mit dem Kontext der Geschichte auseinandergesetzt.

Das nahezu vollständig erhaltene urbane Ensemble wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zuge der italienischen Kolonialpolitik errichtet und ist ein außergewöhnliches Beispiel für modernistische Stadtplanung im afrikanischen Kontext.“

„Die italienische Kolonialmacht setzte in diesem Zeitraum ihre Vorstellungen einer modernen Hauptstadt sowohl nach ästhetischen wie funktionalen Gesichtspunkten um. Zugleich wurden die modernistischen, aus Europa und Nordamerika stammenden Ideen an die lokalen Bedingungen angepasst, beispielsweise durch die Integration von Landschaftselementen sowie lokalen Materialien und Formgebungen. Damit stellt Asmara einen bedeutenden Schnittpunkt menschlicher Werte in Bezug auf die Entwicklung des Städtebaus dar.“

 

„Asmara ist kein Museum der italienischen Baukunst, sondern ein bewohnter Stadtkörper.“

Heute wohnen in den Teilen des historischen Stadtensembles wenig Menschen. Viele der großen Villen sind für Botschafter*innen vorgesehen. Der Gouverneurspalast, der in der Zeit der italienischen Besatzung erbaut wurde, ist bis heute ein Symbol staatlicher Macht. Die imposanten Gebäude hinterlassen Eindruck im Stadtbild, aber die Innenstadt ist wenig mit Leben gefüllt. 

Auch heute leben die ärmeren Bewohner*innen eher außerhalb des Stadtzentrums. Dies ist auch ein typisches Phänomen in europäischen Städten: durch die Gentrifizierung, die in den Innenstädten stattfindet, müssen ärmere Bewohner*innen in die Außenbezirke ziehen. Diese werden in den meisten Fällen dann von der Politik und Stadtplanung vernachlässigt und nicht in die Planung einbezogen. 

Herausforderungen für die langfristige Erhaltung der UNESCO-Weltkulturerbestätte sind der Klimawandel – die damit einhergehenden Wechsel von Trocken- und Regenzeiten – und der Wohnungsmangel der Stadt Asmara, die ein hohes Bevölkerungswachstum aufweist. Durch die notwendige Erhaltung des Erbes wird die Entwicklung der Stadt gehemmt, weshalb auch durch die Ehrung mit dem Titel Unterdrückungsmechanismen aufrechterhalten werden. Dies sind auch noch Auswirkungen des Kolonialismus.

Die Vergabe des Titels kann also nicht einfach nur auf Bauwerke und ihre Architektur beschränkt werden. Sie muss im Kontext der gewaltvollen Geschichte betrachtet und entschieden werden. Ein europäisches Eingreifen in Eritrea, Afrika. Warum sollte man das Erbe einer Kolonialmacht, von einem menschenverachtenden System sichern? 

 

 

 

Quellen:

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1026876/umfrage/verteilung-der-kulturerbestaetten-in-der-unesco-liste-des-welterbes-nach-region/        

https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-werden#Kriterium2

https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-weltweit/asmara-eine-modernistische-stadt-afrikas-neue           

https://www.deutschlandfunkkultur.de/weltkulturerbe-in-eritrea-der-charme-des-maroden.2156.de.html?dram:article_id=405967

Vera Simone Bader, Moderne in Afrika. Asmara – Die Konstruktion einer italienischen Kolonialstadt 1889 -1941, Berlin 2016.

Aram Mattioli, Terror und Moderne, in: Die Zeit, 26.02.2009, Nr. 10, S. 86.